Die Begriffe der Pferdezucht

Die Begriffe in der Pferdezucht gab es schon lange, bevor die Gesetze der Vererbunung allgemein bekannt waren. Daher kann man sie nicht verstehen, wenn man wissenschaftliche Exaktheit und Klarheit als Maßstab anlegt. Dennoch haben diese Begriffe auch heute noch praktische Relevanz, weil es Begriffe der Praxis sind. Insgesamt beschreiben praktische Begriffe oft ein System globaler Ähnlichkeiten, sodaß es statthaft ist, assoziativ zu argumentieren, wenn man dieses System aufdecken möchte.

Habe ich mich klar ausgedrückt? Sicher nicht. Am besten kommen wir sofort zu den Beispielen...

Altertümliche Vorstellungen ...

Betrachtet man Veröffentlichungen für Pferdezüchter - oder hört man ihnen einfach zu - erkennt man schnell, daß der Begriff des Blutes eine große Rolle spielt. Dabei ist der Begriff durch aus mehrdeutig, wie die Beispiele zeigen werden.

Leben und Abstammung

Von alters her ist den Menschen der Zusammenhang zwischen Blut und Leben bekannt, sodaß es leicht zur Assoziation der Substanz "Blut" als eigentlichen Träger des Lebens kommt:  "Ohne Blut ist kein Leben möglich. Deshalb ist das Blut der Sitz des Lebens." Von dieser Tatsache führt ein Assoziationspfad direkt zu der Vorstellung, daß Weitergabe des Lebens - Fortpflanzung und Vererbung - identisch ist mit der Weitergabe des Blutes: Verwandte stammen von gemeinsamen Ahnen ab und besitzen daher das gleiche Blut. Blut wird in dieser Vorstellung der substantielle Träger der Vererbung.

Gefühl, Temperament und Seele

Ein weiterer Assoziationspfad bringt die Vorstellung von Blut und Temperament zum Ausdruck. Als Sitz des Lebens und der Abstammung ist das Blut auch der Träger des Gefühls, Eigenschaften, bis hin zur Seele schlechthin. Auch dieser Vorstellung liegen durchaus physiologische Tatsachen zugrunde. Im Kampf, im Entsetzen und in der Liebe - zu Zeiten großer Gefühlsaufwallung - pocht das Blut uns in den Adern.

Alle diese Vorstellungen finden wir auch in der Begriffswelt der Pferdezucht widergespiegelt. Sie überlagern sich zum Teil auf vielschichtige Weise.

Abstammungsbegriffe - von der Reinzucht bis zur Inzucht - Maßnahmen zur Konsolidierung.

Spricht ein Züchter von Linienzucht, Blutanschluß oder Inzucht, so ist im Prinzip gemeint, daß Pferde mit gemeinsamen Ahnen miteinander angepaart werden. Linienzucht sollte das Blut "rein" erhalten - oder durch einen Anreicherungseffekt sogar noch "reinigen". Auch im Begriff der Reinzucht (Vertreter einer Pferderasse werden nur mit Vertretern derselben Rasse angepaart) spiegelt sich dieser Gedanke wider.

Stimmt der Gedanke?

Tatsächlich führt Fortpflanzung innerhalb einer kleinen Population zu einer Anreicherung von bestimmten Genen im Genpool dieser Population. Diese im Genpool häufigen Gene liegen dann  häufig auch homozygot in den Vertretern der Population vor. Dieser Vorgang der gleichzeitigen Anreicherung der einen Gene und der Ausdünnung anderer Gene in einem Genpool ist es, der zusammen mit der Selektion durch den Züchter zu einer Konsolidierung, einer Sicherung der Zuchterfolge, führen soll:

Man will z.B. Deckhengste, die züchterisch erwünschte Gene möglichst reinerbig besitzen und diese dann 100%ig sicher weitergeben. Solche Hengste und Stuten sind Mittel und Ziel der Reinzucht, bzw. den verschiedenen Stufen der Inzucht (Linienzucht, Blutanschluß, Inzucht im engeren Sinne).

Stempelhengste...

Hengste, bei denen viele solcher erwünschten Gene reinerbig vorliegen  besitzen, werden auch als "Stempelhengste" bezeichnet, weil sie ihren Nachkommen - im übertragenen Sinne - einen unverwechselbaren "Stempel" aufdrücken.

Chancen? Risiken?

Leider sind es nicht immer nur die "erwünschten" Gene, die im Rahmen einer Konsolidierung - mit Reinzucht, Linienzucht, Blutanschluß bis hin zur Inzucht - im Genpool einer Rasse angereichert werden - und es sind nicht immer die schlechtesten Gene, die dafür aus dem Genpool ausgedünnt oder sogar eliminiert werden. Hier liegen die Risiken von Reinzucht, Linienzucht und Inzucht. Die (beabsichtigte) Anreicherung züchterisch erwünschter Gene wird erkauft mit dem Risiko der (unbeabsichtigten) Anreicherung von unerwünschten Merkmalen und der Verarmung des Genpools.

Wozu Konsolidierung ?

Gegen diese Risiken hilft nur eine strenge Selektion. Wurde diese unterlassen, oder ändern sich die Schwerpunkte bei den Zuchtzielen, kann eine Neuorientierung nur der Selektion bei gleichzeitiger Beibehaltung der Reinzucht nur sehr schwer erhalten werden. Dann hilft nur noch  eine "Blutauffrischung", eine Erhöhung der Diversität des Genpools durch das Einkreuzen anderer Pferderassen.

Das kann zugleich mit einer Veredelung verbunden sein kann, es muß aber nicht. Es bleibt, die Frage: Warum treibt es die Züchter zur Konsilidierung der Zucht durch die verschiedenen Grade der Inzucht?

Durch Inzucht werden die Vertreter einer Population reinerbiger und untereinander gleichförmiger. Das heißt, aber auch, daß die Zucht voraussagbarer und planbarer ist. Inzucht macht also Sinn, wenn die Anforderungen durch das Zuchtziel klar definiert sind, sich nicht alle Tage ändern, und durch strenge Zuchtselektion gestützt werden.

Veraltete Zuchtziele ?

Hier sein ein Exkurs erlaubt: Viele Warmblut-Züchter züchten auch heute noch auf den  "Springcrack" oder auf den "Überflieger für den ganz großen Dressursport", so als ob es den Breitensport gar nicht gäbe, der ein vielseitiges und gutmütiges Pferd fordert, das leichte reiterliche Schwächen verzeiht. Dies ist einer der Gründe für das Überangebot an Warmblutpferden in deutschen Züchterstellen bei gleichzeitigen Spitzenpreisen für die Spitzenprodukte der Deutschen Warmblutzucht - die gehen ja in den großen Sport. Die weniger "hoch veranlagten" Pferde sind aber nun nicht gerade automatisch "ideale Freizeitkumpel" - darauf hin wurden sie ja gar nicht gezüchtet! Entsprechend sind viele Breitensportler zu anderen Rassen und Reitweisen abgewandert, bzw. haben sich von vornherein gar nicht erst auf das als "Spinner" geltende Warmblut eingelassen. Ein Dilemma, dem z.B. die Westfälische Pferdezucht durch Veränderung des Zuchtziel in Richtung der "Rittigkeit" zu begegnen versucht.

Temperamentsbegriffe und Pferderassen.

Das Englische Vollblut.

Das Paradebeispiel für eine konsolidierte Pferdezucht in strenger Reinzucht mit seit jahrhundertelanger Selektion nach klar definierten Zielen ist das Englische Vollblut-Pferd. Haupteinsatz des Englischen Vollbluts ist der Galopprennsport mit seiner gnadenlosen Leistungsselektion. "Das Stutbuch des Englischen Vollbluts ist geschlossen". Das ist die strengste Form der Reinzucht: Englische Vollblüter stammen immer nur von Englischen Vollblütern ab.

Die Vorfahren des Englischen Vollbluts waren die  Steppen- und Wüstenpferde Vorderasiens und der Arabischen Halbinsel - diese Pferderassen müssen vom Temperament her auch heute noch ebenfalls als "Vollblut" gelten. Sie sind sind feurig im Temperament, grazil gebaut, dabei jedoch schnell und leistungsfähig. Vollblüter sind sozusagen die "Formel 1" des Pferdesports - geboren, um zu galoppieren.

Kaltblut ...

Auf der anderen Seite der Temperamente steht das Kaltblut, der Prototyp des landwirtschaftlichen Arbeitspferdes in Mitteleuropa, wuchtig und und muskulös im  Körperbau. Ihre bevorzugte Grundgangart ist der Schritt, in dem sie ihre oft gewaltige Zugkraft voll entfalten können.

... und Warmblut.

Schon zu Zeiten der mittelalterlichen Kreuzzüge versuchten europäische Züchter, die Eigenschaften der mittelalterlichen Arbeitspferde, die eher dem heutigen Kaltblut nahe standen, mit den Eigenschaften der agilen Vollblutpferde aus Arabien und Vorderasien zu kombinieren, um ein rittiges Pferd für militärische Zwecke zu erhalten. Praktisch alle Reitpferderassen stammen aus solchen Rassemischungen mit darauf folgender Konsolidierung und Selektion des Zuchtergebnisses. Auch das Warmblutpferd modernen Typs stammt von solchen Militärpferden ab.

Veredelung ...

Aus der Einkreuzung der Vollblutpferderassen mit den Arbeitspferden des Mittelalters, gingen Pferde hervor, die in ihren Eigenschaften die Bedürfnisse des Adels in der Jagd zu Pferde, im Rennsport und im Krieg besser erfüllen konnten, als die ursprünglichen Landschläge. Den so veränderten Landschlägen wurde nun selbst ein gewisser "Adel" zugeschrieben. Die Ursachen dieser Veränderung war also vor allem die Einkreuzung des Englischen und des Arabischen Vollbluts, die seitdem als "Veredler" betrachtet werden. Ein warmblütiges Pferd, daß viele Vollblutvorfahren hat, nennt man auch "edel gezogen" oder man spricht davon, daß es "hoch im Blut steht". Merke: "Das Vollblut bringt den Adel in die Zucht".

Barockpferde - ein Sonderfall ?

Barockpferde müßten vom Temperament her zu den Warmblutrassen zählen. Sie werden heute jedoch mit dem diffusen Begriff der Spezialrasse versehen, da sie einer anderen Selektion als die "eigentlichen" Warmblutrassen unterworfen waren, die den Dressur- und Springsport dominieren.

Dabei reicht die Spannweite der schweren, barocken Typen vom eher kaltblütigen Friesen, über den Knappstrupper alten Schlages, den Lippizaner, bis hin zum feurigen Andalusier oder Lusitano.

Wie das Beispiel des  Knappstruppers im Sportpferdetyp zeigt, ist es möglich, diese Pferde innerhalb weniger Generationen mittels der gezielten Einführung von Fremdblut und einer veränderten Selektion zu Warmblütern moderner Prägung umzuzüchten - eine Entwicklung, der sich prominente Vertreter alter Reitweisen, wie z.B. Brent Branderup in jüngster Zeit entgegenstellen, da mit den barocken Pferdetypen auch ein wichtiges Stück Kulturgut verloren geht.

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